Frage      Hat Jesus wirklich gelebt?
Seit den ersten Tagen des organisierten Christentums stellen sich Menschen diese wichtige Frage. War Jesus menschlich und sterblich, war er der vom Herrn gesandte und zu ihm zurückgekehrte Gottessohn oder nur eine Legendengestalt?

Für viele Zweifler ist das eine wichtige Frage und man könnte sie sich sparen, würde Jesus endlich wie versprochen wiederkehren. Aber nach 2.000 Jahren hoffnungsvollen Wartens und endlosen Betens "Unser Herr, komm!" und "Komm, Herr Jesus!" ist wohl nicht mehr damit zu rechnen.

Dass Jesus der Sohn Gottes und auferstandene Christus sein soll, lesen wir in der Bibel. Wenn er aber auch eine historische Person gewesen sein soll, müssten wir das auch aus anderen Quellen erfahren. Gerade dort könnten wir vielleicht interessante Informationen über den Nazarener erhalten.

Genau genommen nennt ihn die Bibel ja den "Nazoräer", was alles Mögliche bedeuten kann, aber nicht "Der Mann aus Nazareth". Zu Recht, denn damals existierte keine Stadt dieses Namens. Der Historiker Flavius Josephus listet in einer zeitgenössischen Schrift 63 Orte im kleinen Galiläa auf, ein Nazareth erwähnt er aber nicht.

Sollte es damals doch ein Nazareth gegeben haben, muss der Ort mehr als bescheiden gewesen sein, obwohl laut Bibel (Lk 4,16) eine Synagoge dort gestanden haben soll, in der Jesus aus den heiligen Schriften vorgelesen haben will. Kleinfunde beweisen, dass damals höchstens ein paar armselige Hütten gestanden haben können, die den Namen Ort nicht verdienen.

Man stelle sich vor, ein religiöser Mann mit besonderer Ausstrahlung wäre durchs Heilige Land gereist. Er hätte die Massen bewegt und die Obrigkeit beunruhigt. Mit Sicherheit hätten überall Schreiber davon berichtet.

Solche Ereignisse wären nicht unbemerkt geblieben, nicht in einer Zeit, als Juden und Griechen unermüdlich notierten, was um sie herum geschah und die Römer rund ums Mittelmeer einen riesigen, alles Wichtige rapportierenden Beamtenapparat unterhielten.

Außerhalb der wenigen biblischen Texte hat uns die Geschichte keinerlei Indizien über Jesus hinterlassen. Es gibt keine Notiz, keine Inschrift und noch nicht einmal einen Pergamentschnipsel aus jener Zeit, der auf die irdische Existenz des Messias hinweisen würde.

Die biblischen Quellen wiederum entstanden erst nach dessen angeblicher Lebenszeit und gingen allesamt durch missionarisch motivierte Hände. Der älteste Text, entweder ein Paulusbrief oder der Jakobusbrief, kann frühestens aus dem Jahr 50 stammen. (Päpstliche Hoftheologen gehen übrigens davon aus, dass Jesus um das Jahr 30 gestorben ist, obwohl es keine verlässlichen Anhaltspunkte dafür gibt.) Die Briefe enthalten übrigens keine biografischen Fakten zum Lebensweg Jesu.

Entweder hatten die Berichterstatter aus Palästina, Griechenland und Rom den umherziehenden Gottessohn ignoriert oder sie hatten schlicht und einfach nichts von ihm gehört. Selbst der Zeitgenosse Justus von Tiberias (†92/93), der Galiläa und seine Bewohner genau kannte, erwähnte nie den Menschenfischer am Jordan.

Auch unter den fünfzig Schriften, die wir von Philon von Alexandria (20 v. Chr.-50) besitzen, ist kein Hinweis auf die Ereignisse aus den Evangelien zu finden. Dabei war Philon ein jüdischer Theologe, der das religiöse und philosophische Leben zur Zeit Jesu aktiv mitgestaltet hatte. Viele seiner Schriften befassen sich mit jüdischem Glauben und religiösen Sekten. Und nichts anderes als eine jüdische Sekte waren die Christengemeinden zu Anfang.

Flavius Josephus erwähnte in seinen Schriften aus jener Zeit insgesamt 20 Männer, die alle den Namen Jesus tragen, aber in keiner Weise mit unserem Jesus der Evangelien identisch sein können. Dieser Name war also weit verbreitet und scheinbar beliebt.

Selbst wenn also morgen ein Grab mit der Inschrift "Hier liegt Jesus" gefunden würde, bliebe immer noch die Frage, ob hier ein wundertätiger Gottessohn, der Messias der Evangelien oder ein sterblicher Mann gleichen Namens begraben liegt.

Kluge Köpfe äußern sich daher immer wieder kritisch über die vermeintliche Existenz Jesu. Johann Wolfgang von Goethe sprach vom "Märchen von Christus" und wetterte: "Die Geschichte des guten Jesus habe ich nun so satt, dass ich sie von keinem, außer von ihm selbst, hören möchte."

Napoleon zweifelte an der Person Jesus genauso wie Friedrich der Große. Friedrich Nietzsche schrieb mit böser Feder: "Zum Christentum wird man nicht geboren, man muss dazu nur krank genug sein."

Schon 2.000 Jahre vor ihm legte der Philosoph und Christ Justin (100-165) in seinem "Dialog" dem Juden Tryphon in den Mund: "Ihr habt euch eine Wahnvorstellung gemacht. Ihr habt euch selbst Christus gebildet."

Ein kleiner Hinweis über den Messias namens Jesus findet sich auf den ersten Blick in einer aus dem 11. Jahrhundert erhaltenen Handschrift von Flavius Josephus. Es ist also eine Abschrift unzähliger Abschriften und Übersetzungen.

Wir wissen von dieser Jesus-Erwähnung hauptsächlich aus den "Kirchengeschichten" des Eusebius (265-339), eines Hoftheologen von Kaiser Konstantin. Eusebius schrieb, bei Flavius Josephus gelesen zu haben, Jesus hätte als Lehrer Wunder gewirkt, sei zum Kreuzigungstod verurteilt worden und am dritten Tag als Lebendiger wieder erschienen, wie Propheten es vorausgesagt hätten.

Historiker nehmen nun an, dass sich die Schilderung von Jesus nur aufgrund dieses Hinweises aus Eusebius' Feder in vielen mittelalterlichen Josephus-Exemplaren findet. Man hält den Einschub im Text von Flavius Josephus heute also durchweg für eine christliche Fälschung, zumindest in dieser Fassung.

Die pathetischen Worte, mit denen Josephus den angeblichen Christus beschreibt, passen nicht zum übrigen Kontext seiner Schriften. Der Echtheit des Textes widerspricht auch eine Beschreibung Josephus' über die jüdischen Freiheitskämpfer, für die er keinerlei Sympathie empfand: "Was sie besonders zum Krieg antrieb, war ein vieldeutiges Orakel, das sich in ihren heiligen Schriften fand und besagte, dass zu dieser Zeit einer aus ihrem Land der Führer der Welt werden sollte."

Das sieht sogar Werner Keller, Autor des Bestsellers "Und die Bibel hat doch recht", so: "Als Fälschung hat man wohl die (...) angeführte Josephus-Stelle zu betrachten.

Bezeichnend ist auch, dass sich andere frühe Kirchenväter wie Justin (um 150), Tertullian (um 200) oder Cyprian (um 250) nicht auf diesen angeblichen Text berufen, obwohl er ihnen doch äußerst willkommen hätte sein müssen.

Als weiteres Indiz für eine Fälschung ist eine Handschrift des Josephus-Textes aus dem Besitz des holländischen Theologen Gerhard Johann Vossius aus dem 17. Jahrhundert, in dem sich kein Wort über Jesus fand.

Die moderne christliche Theologie hat es aufgegeben, in Jesus eine historische Person sehen zu wollen. Sie verkündet ganz bewusst eine mythische Heilsfigur, die sie den Bedürfnissen der Gläubigen und den Strömungen der Zeit anpassen kann. Der Christus der Urgemeinden ist davon allerdings weit entfernt.

Man ist heute versucht anzunehmen, in den oberen Etagen der Kirchenführung sei man ganz zufrieden, dass sich Jesus nicht mehr blicken lässt.

Er könnte nämlich ganz anders sein, als man ihn in den letzten 2.000 Jahren präsentiert hat.

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©Johannes Maria Lehner
 
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